In diesem Blogbeitrag geht es um den stark verbreiteten -wenn auch oft unbewussten- Gebrauch von Kriegsvokabular in zivilen Bereichen, wie im Sport, bei der Arbeit, in der Schule und in der Familie – sowie deren negative Auswirkungen auf Stimmung, Haltung und Verhalten – die eigene sowie die anderer.
- Das sind doch nur Worte?
- Unbelastete Worte finden?
- Was ist Kriegsvokabular?
- Was ist Nazisprache?
- Krieger, Chauvis, Rassisten und Sexisten?
- Und was macht man da am besten?
- Die Generation Y/Z macht es besser?
1. Das sind doch nur Worte?
Worte nutzen wir, um etwas zu benennen, zu beschreiben oder zu bezeichnen und damit Kommunikation zu ermöglichen. Damit geben wir Dingen nicht nur einen Namen, sondern eine Einschätzung und Bedeutung. Worte sind also nie nur Worte – sie bewirken etwas, bewusst und unbewusst, weil sie etwas bewirken sollen – etwas positives, etwas warnendes, etwas neugierig machendes oder etwas anstrengendes. Kriegerische Begriffe und auch diffamierende Begriffe sollen abgrenzen, erniedrigen, Furcht einflößen, Kraft und Macht signalisieren – Vorteile in einem Konflikt erzeugen.
Ausgesprochene Worte erleben wir immer in einem Kontext, nie losgelöst vom Sprecher, der Situation und unserer eigenen Wahrnehmung, die mitunter ganz anderes auffasst, als ein Sprecher gemeint haben könnte. Tonalität, also ob wir angeschrien oder angesäuselt werden, hat ebenso einen großen Effekt – genauso wie einhergehende non-verbale Sprache. Das Kommunikationsmodell von F. Schulz von Thun ist zu diesem Thema nachlesenswert.
Laut einem Artikel in der Welt 2015, haben „Psychologen der Universität Jena mittels bildgebender Verfahren die Wirkung gehörter Worte im Gehirn erforscht und gezeigt, dass Vokabeln wie „quälend“ oder „zermürbend“ das Schmerzzentrum im Hirn genauso aktivieren wie Nadelstiche.“ Die Kommunikationsforschung weiß um die Wirkung agressiver verbaler und non-verbaler Kommunikation auf unsere Wahrnehmung, die im Gehirn und zentralen Nervensystem ausgelösten Prozesse sowie unser dadurch ausgelöstes Stress-Verhalten.
Worte wirken nicht nur situativ – unser Wortschatz, unser Dialekt und unsere Tonlage prägen uns und andere – und sind gleichzeitig Ausdruck unserer Haltung, Werte und Überzeugungen.
„We sow a thought and reap an act.
We sow an act and reap a habit.
We sow a habit and reap a character.
We sow a character and reap a destiny.“„Wir säen einen Gedanken und ernten eine Tat.
Quelle: lt. Wikiquote unbekannt, u.a. von Charles Reade verwendet, vermutlich auf ein Chinesisches Sprichwort zurückgehend
Wir säen eine Tat und ernten eine Gewohnheit.
Wir säen eine Gewohnheit und ernten einen Charakter.
Wir säen einen Charakter und ernten ein Schicksal. „
Als Sprichwort findet es sich häufig in dieser Variante:
„Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte.
Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen.
Achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheit.
Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter.
Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.“
Das Dilemma ist, dass wir Sprache beigebracht bekommen und in unserem Umfeld aufschnappen, lange bevor wir reflektiert entscheiden können, was zu uns passt und was nicht. Durch eigenes Erleben und Hinzulernen erweitern wir unsere Wortschätze – trotzdem bleibt das meiste unreflektiert übernommen. Obiges Sprichwort weist uns auf die potentielle Wirkung hin, wenn wir unreflektiert damit umgehen. Das Ganze ist jedoch keine Einbahnstraße. Wir können und sollten unsere Sprache an unsere Haltung und unsere Charakter anpassen. Und wir können durch Wortwahl uns und unser Umfeld weniger oder mehr beeinflussen – in eine eher friedliche oder in eine eher kriegerische Zukunft.
2. Unbelastete Worte finden?
Theoretisch sind nahezu alle Worte nach so vielen Jahrtausenden irgendwie belastet und wir müssten stets neue unbelastete Worte erfinden, um diesem Dilemma zu entgehen. Unrealistisch, und nicht sinnvoll. Wir müssen also nicht verstummen angesichts der vielen belasteten Worte. Jedoch achtsam jene Worte vermeiden, die zu stark belastet sind, hilft, Schäden zu begrenzen. Stell‘ dir radioaktiv belastete Stoffe vor – deren ungeschützte Verwendung gefährdet dich und andere – und erst nach sehr langer Zeit, sind sie entweder zerfallen, in der viel größeren Menge unbelasteter Stoffe untergemischt oder wieder ungefährlich. Alles strahlt irgendwie – auf die Belastung und Konzentration kommt es an. Auch bei Worten.
Es ist leichter, die falschen Worte zu finden. Worte an sich, sind neutral. Intention, Verwendung und Kontext machen Worte und Redewendungen jedoch zu bedeutungsvollen Instrumenten, deren Verwendung in unserer Geschichte Spuren hinterlassen, und Worte für alle Zukunft belasten. Nicht ein Wort oder eine Redewendung ist falsch oder richtig – sondern deren Verwendung kann es sein. Solche Euphemismen oder Kakophemismen finden sich im Kriegsvokabular reichlich.
‚Bombenwetter‘ ist für die meisten einfach nur strahlender Sonnenschein bei wolkenlosem Himmel. Für all jene, die durch Bombardements um den Verlust von Menschen trauern, ist ‚Bombenwetter‘ jedoch schmerzhaft belastet. Für den Abwurf von Bomben ist freie Sicht aus dem Flugzeug bei wolkenlosem Himmel in unserem Digitalzeitalter schon lange nicht mehr Voraussetzung. Warum ersetzen wir diesen kriegerischen Begriff also nicht durch etwas weniger martialisches? Ganz so einfach ist es gar nicht, die richtigen Worte zu finden. ‚Kaiserwetter‘ oder ‚herrliches Wetter‘ oder ‚göttliches Wetter‘ ist weniger kriegerisch, jedoch immer noch in alten ungleichberechtigten Zeiten beheimatet, als ‚Gott‘, ‚Kaiser‘ und ‚Herr‘ die Krönung von allem waren. Also wie jetzt? ‚Tolles Wetter‘? ‚Super Wetter‘? ‚Geiles Wetter‘? Sprache und Worte darin sollen Emotionen wecken und müssen daher manchmal bildhaft oder überzeichnend sein. Klar. Trotzdem – diese Bilder sollten nicht kriegerisch oder diffamierend sein – da gibt es genügend andere Möglichkeiten. Vielleicht hilft ja der Hinweis, dass es verschiedene Theorien zur Herkunft der Wortkombinationen mit ‚Bomben…‘ gibt – eine sagt, es seien die überraschenden Knalleffekte in der Theaterwelt gemeint gewesen. Drüber reden hilft.
Solange es uns Menschen gibt, gibt es kämpferische und kriegerische Auseinandersetzungen. Damit sind diese sprachlichen Wurzeln sehr alt und sehr tief. Kognitiv sind wir weiter, als wir es evolutionär sind. Gebote, Gesetze und Menschenrechtsformulierungen sind Ambitionen, wie wir uns wünschten zu sein bzw. zu verhalten. Da wir jedoch evolutionär nicht so weit entwickelt sind, erleben wir Gewissenskonflikte, Affektverhalten und kriegerische Auseinandersetzungen allerorten. Mit der Sprache ist es ähnlich – wir können uns bemühen, besser auf unsere Sprache zu achten, als es uns als Zeichen unseres Entwicklungsstandes gegeben ist. Damit können wir dazu beitragen, dass unser Verhalten besser ist, als es in unserer Natur liegt.
3. Was ist Kriegsvokabular?
Alle Worte und Redewendungen, die eigentlich nur in kriegerischen Auseinandersetzungen eingesetzt wurden und werden, also alle Begriffe die mit Feinden, Kampf, Waffen, Siegen, Niederlagen, Schuld, Rache etc. zu tun haben. Kriegs-Rhetorik ist nicht nur sprachlich die Redekunst in einem Streit hartnäckig nach Vorteilen zu streben und bestimmte manipulative Botschaften auszubreiten. Propaganda halt. Kriege brechen nicht aus, sie werden gezielt und taktisch von Menschen initiiert.
Ganz besonders inakzeptabel ist dieser Sprachgebrauch in der Erziehung, im geschäftlichen Umgang und in der Führungsaufgabe. Die in aller Regel erst verharmlosende und dann aufgebrachte Reaktion auf dieses Thema zeigt, wir brauchen noch länger und intensiver dazu eine mutige Diskussion. Einmal bewusst gemacht, kann diese Kriegsrhetorik nur als Fehl am Platze erkannt werden. Wer sie dann trotzdem und unreflektiert weiterhin einsetzt, nutzt diese ganz bewusst – oder zeigt Gleichgültigkeit – beides nicht ok.
Der Sender euronews hat hier in einem Ausschnitt Nigel Farage’s Rhetorik in Sachen Brexit aufgezeigt:
Wer Angriffs-Kriege legitim findet, für den ist auch Kriegs-Rhetorik ein legitimes Mittel. Weil es funktioniert, taktisch Vorteile bringt und zu extremer Einsatzbereitschaft führen kann. Geschieht dies im Kampf gegen das geschichtlich anerkannt ‚Böse‘, wie in Winston Churchill’s ‚Blood, toil, tears and sweat‘ Rede 1940, finden diese Reden Einzug in die Bestenlisten aller großen Reden. Entstammen diese Reden den anerkannt ‚Bösen‘, wie Josef Goebbel’s Sportpalastrede 1943, werden sie den Taten entsprechend nicht heroisiert – und das ist gut so. Rhetorisch ist aus all diesen Reden vieles zu lernen. Die ethische Frage ist die schwierigere. Wer Kriege befürwortet, sieht in aller Regel auch alle Mittel geheiligt bzw. ethisch legitimisiert – so wie es über Jahrhunderte viele Weltreligionen praktizierten.
Es lassen sich regionale Auffälligkeiten beobachten in denen besonders viel Kriegsvokabular auftaucht. Dies sind in Deutschland vor allem die nordischen Bundesländer Schleswig-Holstein, Niedersachen und Meckelnburg-Vorpommern in denen über Jahrhunderte Marine und Waffenbau stark vertreten war und ist – ebenso wie Matrosen und Soldaten. Das prägt.
Hier ein Auszug aus meiner Sammlung von Kriegsvokabularien, die ich regelmäßig in den Medien sowie in privaten und dienstlichen Runden erlebe:
- 08/15
- Ablenkungsmanöver
- abschlachten
- Auf die Folter spannen
- Alter Schwede
- Am Boden zerstört sein
- An den Pranger stellen
- An der Front herrscht Ruhe
- An die Front schicken
- Aufrüsten
- Auf Habt-Acht sein
- Auf Vordermann bringen
- ballern
- bis aufs Blut
- bis zum Verrecken
- Blindgänger
- Blitzkrieg
- bomben
- bombenfest
- bombensicher
- Bombenstimmung
- Bombenwetter
- Da müssen wir angreifen
- Dauerbeschuss
- Den Finger am Abzug
- Dicke Luft
- Die Kohorten aufeinander Knallen lassen
- Die Stellung halten
- Ein größeres Geschütz auffahren
- Ein Schnellboot (das Thema ist ein…)
- Ein Thema erschlagen
- Eine ganze Batterie von
- Eine Schlacht gewonnen, aber nicht den Krieg
- Einen Volltreffer landen
- Einen vor den Bug schießen
- Einmarschieren
- Entrüstung
- Es trifft immer den Falschen
- Fahnenflucht
- Fahnenflüchtig zu werden
- Flaggschiff
- Flanke
- Geben wir zum Abschuss Frei
- Gewehr bei Fuß stehen
- Grabenkampf
- größeres Geschütz auffahren
- Großkampftag
- Großangriff
- Gut getarnt durchbringen
- Haubitze (stramm wie eine…)
- Hinter Jemanden Stehen (Geschossen wird von vorne)
- Holland in Not
- im Eifer des Gefechts
- im Feld
- Im Frieden ersetzt der Stab den Feind
- Im Gleichschritt
- In Deckung gehen
- ins Hintertreffen geraten
- Jemandem eine empfindliche Niederlage zufügen
- kämpfen
- Kanonenfutter
- Kapitulation
- Kesseltreiben
- Kollateralschäden
- Kommandohügel
- Kriegskasse
- Letzte Bastion aufgeben
- Manöver
- Mein Pearl-Harbor
- Mit Kanonen auf Spatzen schießen
- Mit offenem Visier
- Mit scharfer Munition schießen
- Mitläufer/Verräter in unseren Reihen
- Nahkampf
- Nebenkriegsschauplatz
- Niemandsland
- Nur noch einen Schuss frei haben
- Offiziere rennen nicht
- Raus aus den Schützengräben
- Rohrkrepierer
- Schieß-mich-tot
- Schlacht
- Schlachtplan
- Schlachtruf
- Schlagfertig
- Schützengraben
- Schützenhilfe
- Sperrfeuer
- Spießrutenlauf
- stürmen
- töten
- torpedieren
- Totschlagargument
- Tretmine (für Hundehaufen)
- Trommelfeuer
- überrennen
- über das Ziel hinausgeschossen
- Unsere Truppen
- Unsere Waffenkammer
- Unter Beschuss geraten
- Unter Feuer nehmen
- Verheerend
- verteidigen
- Verteidigungsring
- Volles Rohr
- Vor den Bug schießen
- Waffengleichheit herstellen
- warmgeschossen
- War Room (Berater / Turnaroundsprache)
- Wen / was wir opfern wollen/können
- Wie aus der Pistole geschossen
- Wie die Schlacht bei Verdun…Austerlitz…
- Wird scharf geschossen
- zum Abschuss freigeben
- Zurück ins Glied
- Zweifrontenkrieg
Neuerlich Kriege erweitern diese Liste, so habe ich kürzlich von einem Klienten gehört, ‚mein Chef ist meine Taliban – er terrorisiert mich…“. Auch ‚9/11‘, ‚Guantanamo‘, ‚Koalition der Willigen‘, ‚Desert Storm‘ und weitere Begriffe aus diesen Auseinandersetzungen sind inzwischen geläufiges Vokabular in vielen Lebensbereichen.
4. Was ist Nazisprache?
Schlimm ist eigentlich nicht zu steigern. Und doch, noch schlimmer als Kriegsvokabular ist Nazisprache. Warum? Weil in der Nazisprache neben dem gesamten Kriegsvokabular noch eine gezielte Diffamierung und Entmenschlichung einzelner Menschengruppen enthalten ist. Kriegsvokabular begnügt sich zumeist mit einem Feindbild, erniedrigt dieses bzw. erhöht sich – spricht diesem jedoch nicht den Menschenstatus ab.
Während Kriegsrhetorik gesellschaftlich eher als rhetorisches Mittel anerkannt und in normalem Ausmaß geduldet wird, fallen Begriffe aus der Nazizeit schneller auf und werden vom aufmerksamen Zuhörer im professionellen Umfeld kritisch registriert. So zum Beispiel in Vorstellungsgesprächen oder Assessments. Es gibt ein Redewendungen, die für Führungs- oder Geschäftsleitungsposten disqualifizieren. Also Achtung in der Vorbereitung.
Allermeistens ist es den Sprechern gar nicht bewusst – und unklar, woher diese Nazibegriffe im eigenen Wortschatz eigentlich stammen. Nicht selten finden sich in der Familie oder dem Umfeld des Aufwachsens bei genauerem Hinsehen stramme Nazis, die diesen Sprachgebrauch in die Familie etabliert haben, und dieser sich über Generationen unbemerkt oder unkritisiert fortgesetzt hat. Natürlich gibt es auch jene, bei denen diese Begriffe ganz und gar nicht zufällig im Sprachgebrauch auftauchen. Es wird vermutet, dass in ’normalen‘ Zeiten bis zu 15% einer Bevölkerung faschistischem Gedankengut anhängt oder sogar rechtsradikal ist.
Zwei Beispiele aus eigenem Erleben herausgehoben, die nicht beiläufige Redewendungen sind, sondern sichere Hinweise, dass hier sehr überzeugte Nazis diese Begriffe in die Familiensprache eingeführt haben: ‚Innerer Reichsparteitag‘ für besonders freudige und denkwürdige Situationen, sowie, noch bestialischer, ‚es stinkt hier wie in Bergen Belsen‘ für den ungelüfteten Mief im Kinderzimmer. Beides real erlebt – keine ausgedachten Theorien.
Und ein drittes Beispiel, das nicht so eindeutig ist. Das beliebte Gesellschaftsspiel ‚Reise nach Jerusalem‘, das in vielen Ländern der Welt gespielt wird – dort jedoch meistens anders heißt, wie ‚tanzende Stühle, musikalische Stühle, Reise nach Rom‘, o.ä.. Das Spiel existierte nachweislich lange vor der Zeit des Nationalsozialismus. Jedoch wurde es im Zuge der Jahrhunderte immer wieder auch im Kontext der Verfolgung von Juden als ein grausames Ritual oder als eine diffamierende Redewendung eingesetzt. Bis heute. Wichtig wäre also auch hier, sich kritisch mit der Redewendung auseinander zu setzen und am besten den Namen zu wechseln.
Nazisprache ist nie angemessen und es wäre wichtig, dass du solche SprecherInnen darauf ansprichst. Jene, die es unbemerkt verwenden sind dankbar für den Hinweis und beginnen in der eigenen Biographie nach den Ursachen zu forschen. Jene, die es bewusst verwenden, brauchen die kritische Ansprache, die klare Gegenposition die Auseinandersetzung. Bewegungen wie Pegida, Parteien, wie die AfD, und bestimmte DemonstrantInnen bei denen einzelne SprecherInnen offenbar ganz gezielt diese Nazirhetorik und auch die nonverbalen Muster einsetzen, werden wieder mehr – umso wichtiger, dem entgegen zu treten. In diesem Satirebeitrag der ZDF Heute Show vom 09.11.2018 wird das Thema Wortwahl und Intention gut überzeichnet:
Auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung gibt es sehr lesenswerte Beiträge zu Ideologie und Sprache – auch und besonders zur Nazi-Zeit.
Die 2016 nach dem Erlöschen der Urheberrechte erschienene kommentierte Ausgabe des Instituts für Zeitgeschichte von Adolf Hitler’s ‚Mein Kampf‘ zeigt mit über 3.500 Kommentaren auf, welche propagandistischen Wurzeln und sprachlichen Verirrungen dieses Buch gelegt hat. Gleichzeitig ist auch dieser Ansatz nicht frei von zu kritisierenden Aspekten. Die notwendige Auseinandersetzung mit dem Werk, dessen Wirkungen und dem heutigen Umgang damit bleibt eminent wichtig.
In der Hoffnung, dass die Auflistung für viele von euch zu einer nützlichen Reflexion beiträgt und nicht durch die SEO Mechanismen zu einer falschen Einsortierung dieses Blogs, liste ich euch hier Beispiele für diese Nazi-Begriffe und -Redewendungen auf, die für alles andere als geschichtliche Auseinandersetzung tabu sein sollten:
- Anschluss
- Arbeitsfront
- Arbeit macht frei
- Aufnorden
- Ausmerzen
- bis zur Vergasung
- Capo
- Deutscher Gruß
- durchrasst
- ein Gestank hier wie in Bergen-Belsen
- Endlösung / Endziel
- Entartung / entartet
- Gestapo
- Ghetto
- glänzt wie ein Judenei
- Gleichschaltung
- hart wie Kruppstahl (Flink wie Windhunde, zäh wie Leder und…)
- Heim ins reich
- Innerer Reichsparteitag
- Jedem das seine
- KZ (und alle KZ Ortsnamen)
- Machtergreifung
- Rasse
- Rassenschande
- Reichskristallnacht
- Reise nach Jerusalem
- Selektion
- Sonderbehandlung
- SA / SS
- Vierteljude (und jede andere Variante)
- Volksfremd
- Volksschädling
- Völkisch
- Wehrmacht
In diesem Spiegel Online Interview gibt Matthias Heine, Verfasser des Buches ‚Verbrannte Wörter‘, seine Sichten zur Bedeutung von Worten, insbesondere derer, die in der Zeit des Nationalsozialismus geprägt wurden, wieder. Vielem kann ich sehr zustimmen, vor allem der Aussage, dass es im täglichen Miteinander nicht um eine Sprachpolizei gehen kann, sondern um einen „Leitfaden für guten Stil“, und “ Takt, Höflichkeit und historisches Bewusstsein“. Gleichwohl sind bestimmte Worte und Zeichen aus der Zeit des Nationalsozialismus heute richtigerweise im Sinne der Volksverhetzung verboten – und da braucht es ein Hinhören und auch die rechtliche Handhabe. Anderer Meinung bin ich Sachen Wirkung von Sprache – ich glaube nicht, dass eine „Überschätzung von Sprache“ erfolgen kann, und kann der Aussage „Sprache ist kein Gift, das langsam, aber sicher die Hirne zersetzt.“ so nicht zustimmen. Bedenklich finde ich das Beispiel zur Unwissenheit eines Kollegen: „Ein Journalisten-Kollege hat Russland in einem Text zum Beispiel als „Riesenreich im Osten“ bezeichnet. Das ist eindeutig ein Zitat aus Hitlers Buch „Mein Kampf“, wo Russland genau so bezeichnet wird. Der Kollege ist Jude, er ist weiß Gott kein Nazi. Aber er hätte die Bezeichnung bestimmt nicht benutzt, hätte er gewusst, dass Hitler es geprägt hat.“, da hier das wiederkehrende Motiv des Juden als automatisch legitimierten Antinazi strapaziert wird. Juden sind Menschen, die sich der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörig fühlen. Juden haben ein sehr leidvolle Geschichte vor allem zugefügt durch die Deutschen in der Zeit des Nationalsozialismus. Gleichwohl gibt es auch unter Juden Gelehrte und weniger gelehrte, Extremisten und Pazifisten, taktvolle und weniger taktvolle – einfach ganz normale Menschen. Jede andere Darstellung, insbesondere die Überhöhung, spielt jenen, die antisemitischen Tendenzen Vorschub leisten wollen, in die Hände. Ich bin sicher, dass Matthias Heine das so nicht gemeint hat – seine abgedruckten Worte lassen jedoch diese Deutung zu.
5. Krieger, Chauvis, Rassisten und Sexisten?
Nachweislich gesellt sich zu einer allzu kriegerischen Sprache oft auch eine rassistische und sexistische Sprache. So habe ich kürzlich in einer geschäftlichen Runde den Spruch hören dürfen, ‚er hat eine wahnsinns-dicke Kanone, aber nur kleine Kugeln oder nur Platzpatronen…‘. Vor allem in reinen Männerrunden, ob im Sportverein, am Stammtisch, in der Firma oder im Chatforum – es schaukelt sich die sprachliche Entgleisung immer weiter auf, und selbst jene, die ein gewisses Unbehagen verspüren, trauen sich kaum, ihre Stimmen dagegen zu erheben. Da fliegen Aussagen wie, ‚die muss nur mal ordentlich gefickt werden‘, ‚von tuten und blasen keine Ahnung‘, ‚das ist unser Haus-Nigger‘, ‚da brauchen wir Chinesen (beliebig viel billige Ressource)‘ und vieles andere mehr durch den Raum. Fatalerweise schweigen auch zu oft anwesende Mit- Betroffene. Kein Wunder angesichts der breiten Duldung und jeweiligen Abhängigkeitsverhältnisse, gleichwohl wünsche ich uns allen mehr Mut hier eine notwendige Diskussion zu führen.
Sehens- und hörenswert finde ich die Retour von der demokratischen Kongressabgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez vom 23.7.2020 auf eine sexistische Beleidigung und den anschließenden Rechtfertigungsversuch eines republikanischen Kollegen.
YouTube Channel der Washington Post, Ocasio-Cortez slams Yoho’s explanation of foul-mouthed confrontation
Aus dem Scherzen wird schnell handfeste Diskriminierung und ein gewaltbesetztes Umfeld, welches unter dem Scherzen und Frotzeln weggelacht wird. Eine Chauvi-Kasse füllt sich schnell – und finanziert dann den nächsten Männerausflug. Positive Verstärkung nennt sich dieses Sammeln in der Chauvikasse wohl. Tief verwurzelte Haltungen, Klischees und Handlungsmuster halten sich manifest bis heute – und nicht erst seit den ‚Schwert und Scheide Zeiten‘. Keine Frage – es steckt in uns allen – und es macht Spaß, es sprachlich mal so richtig krachen zu lassen. Es bleibt die Frage, in welchem Umfeld -wenn überhaupt- so etwas schadenfrei machbar ist – und wo die Grenzen sind.
6. Und was macht man da am besten?
Wie fast immer – fang‘ zunächst bei dir selbst an. Achte auf deine Sprache und auf deine Reaktion auf Sprache anderer. Um an die uns selbst verborgenen Vokabularien zu kommen, bitte am besten Freunde oder Partner mal auf deine Sprache zu achten. Ihr werdet staunen. Ich selbst achte nun schon lange auf dieses Thema und meine Sprache – und es steckt tief, so tief, dass ich immer noch und immer wieder Worte und Redewendungen benutze, die ich nicht in meinem Sprachschatz möchte. Das gehört einfach auch zu mir. Was ich dir empfehlen kann, ist, nicht gehemmt mit deiner Sprache umzugehen, sondern eher reflektiert. Und wenn dir Worte über die Lippen kommen, die du eigentlich nicht ok findest – oder wo du merkst, dass dein Umfeld pikiert (???? laut Wikipedia „ursprünglich beim Militär das Stechen mit einem Spieß“) ist, werde konkreter – was genau an dem Wort oder der Redewendung meintest du – und was nicht. Bildhafte Sprache macht uns aus und ist wichtig – noch wichtiger ist, dass wir die Bilder und Emotionen damit ansprechen, die wir erreichen wollen! Beispiel? ‚Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe!‘ – was genau meinst du damit? Den Überraschungseffekt, die explosive Wirkung, oder was? Und was meintest du nicht damit, die vernichtende Kraft, das Leid, die Opfer? Sei konkret, beobachte die Reaktion auf deine Worte und verwende unterschiedliche Metaphern, um den Effekt zu erreichen, den du erreichen willst – und die Effekte zu vermeiden, die du nicht erreichen wolltest.
Level 2 ist der Mut, andere Menschen auf deren mögliche unpassende Wortwahl respektvoll aufmerksam zu machen. Den meisten Menschen ist nicht bewusst, ob und wie viele belastete Worte in deren aktivem Sprachschatz vorkommen – und sie sind dankbar, für einen passenden Hinweis. Wenn du Kinder hast und / oder in Führungsverantwortung stehst, nimmst du mit deiner Wortwahl und Haltung deutlich Einfluss auf Kultur, Verhalten und Entwicklung. ‚Wie man in den Wald hineinruft…‘ und ‚Wer Wind sät, wird Sturm ernten‘ haben auch in diesem Kontext eine Relevanz. Mut und Fingerspitzengefühl gehört dazu, z.B. in einer Teambesprechung den oder die KollegIn, oder den oder die ChefIn auf schräge Formulierungen anzusprechen. Schlimmer noch als das, was gesagt wurde, wirkt, was von anderen nicht dazu gesagt wurde. Darum ist dies so wichtig.
Mit deinem täglichen tun, kannst du Einfluss nehmen auf die Entwicklung deines Umfeldes. Wenn du meidest, wo wiederholt und absichtlich unangemessene Sprache favorisiert oder toleriert wird, also nicht an solchen Demos teilnimmst, keine derartigen Zeitungen kaufst, keine solchen Kanäle abonnierst, keine solche Sender einschaltest, hat das auch eine Wirkung – vor allem, wenn du auch andere darauf hinweist. Heißt nicht der notwendigen Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen – sondern einen Zeitpunkt und Rahmen finden, in dem eine fruchtvolle Auseinandersetzung überhaupt nur möglich ist.
Es geht überhaupt nicht um oberflächliche Politische Korrektheit , es geht um die Überzeugungen und Haltungen dahinter – und die Wirkung unbedachter Aussagen auf andere. Geschäftliche Projekträume müssen nicht ‚war rooms‘ heißen, es kann auch anders Spannung aufgebaut werden. Der Entwurf der Brexit-Vereinbarung muss nicht einseitig ‚Kapitulation-Vertrag‘ genannt werden. Beim Fussballspiel muss nicht von Angriff und Abwehr gesprochen werden, oder ‚Bomber der Nation‘, oder Schlachtenbummlern, oder ‚den Gegner überrennen‘. Vor knapp 6 Jahren, am 8.7.2014 kommentierte die internationale Presse das 7:1 im Spiel Deutschland-Brasilien mit Begriffen wie ‚Massaker‘, ‚Hackfleisch machen‘, ‚Blitzkrieg‘ u.v.m. – das muss nicht sein. In der Finanzwelt muss der Kunde nicht ‚gefickt werden‘, oder ‚die Situation ausgeschlachtet‘. Im Vertrieb müssen für die Aktion nicht ‚alle aus den Schützengräben springen‘, oder ‚die Konkurrenz kalt machen‘. Stimmung ist auch anders möglich. Wir sind hier schließlich zum Glück nicht im Krieg! Und selbst da könnten wir es anders machen.
7. Die Generation Y/Z macht es besser?
Ich bin als 1968er stark geprägt von meinen Eltern, die als kleine Kinder den Rest des Krieges und vor allem die Jahrzehnte danach erlebt haben, in denen sie in Deutschland noch durch und durch Kriegs- und Naziterminologien im Alltag und Daheim aufgesogen haben. Da habe ich eine ordentliche Dosis über meine Eltern mitbekommen.
Und wie ist es mit den Generationen nach mir, vor allem der späten Generation Y (1980 bis späte 1990er) und der Generation Z (ab späte 1990er bis Anfang 2010er Jahre)? Die Generationen deren Eltern in Deutschland keine Kriege mehr selbst erlebt haben? Dort ist der Gebrauch des Kriegsvokabulars nach meiner Beobachtung fast verschwunden – beim Testlesen der o.g. Listen ernte ich von denen nur Staunen. Es gibt also glücklicherweise diese o.g. Zerfallszeit auch bei Worten. Die Abschaffung der Wehrpflicht und Zivildienste in 2011 hat dabei mit Sicherheit auch einen Anteil, da in diesen Einheiten diese militaristische Sprachkultur natürlich intensiv fortdauert, wie auch die aktuelle Rechtsextremismus-Debatte bei der Bundeswehr und dem KSK wieder aufzeigt.
Jede Generation findet trotzdem eigene Begriffe für menschliche Grundthemen. In der Gaming Welt und der Deutschrapszene finde ich heute weniger martialische Begriffe außer den Klassikern, die mit abstechen, aufschlitzen und abballern zu tun haben. Eine neue Verwendung findet das Wort ‚Opfer‘. In meiner Sprache war Opfer immer nur eine faktische Feststellung von Opfern eines Geschehens. Aktuell ist ‚du Opfer‘, und alle Variationen davon, ein diffamierendes Schimpfwort. Einen größeren Anteil nimmt die Vulgärsprache ein, in der zum Beispiel ‚ficken‘ (ficken, zerficken, gefickt) in allen Variationen vorkommt für das Niedermachen eines Gegners. Auch ‚Fotze, fotzen, gefotzt‘ hat diese Multifunktion erlangt – sowie alle möglichen Verwendungsarten für das männliche Geschlechtsteil. Im Sinne Taktgefühl ist auch diese Sprache schwierig – vor allem, wenn damit sexistische Machtthemen kolportiert werden. Ob das weniger gefährlich ist als Kriegsvokabular oder Nazisprache muss sich in Zukunft zeigen.
So, genugt schwadroniert, äh… gebloggt – ich geh‘ jetzt auf die Terrasse – heute ist wieder ein ‚Bombenwetter‘, äh…, Traumwetter!
Filmempfehlung zu dem Thema
Die Wirkung von Sprache, v.a. von ideologischer und agressiver Sprache in gruppendynamischen Situationen, ist in vielen Filmen ein Thema. Besonders eindrucksvoll finde ich dies im Film ‚Die Welle‚.
Quellen und Nachlesenswertes
Wiktionary: Krieg
Wiktionary: Vokabular
Wikipedia: Euphemismus
Wiktionary: Rhetorik
Wiktionary: propagieren
Wikipedia: Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede
Wikipedia: Sportpalastrede
Wikipedia: Sprache im Nationalsozialismus
Bundeszentrale für politische Bildung: Ideologie und Sprache
Wikipedia: Innerer Reichsparteitag
Wikipedia: Mein Kampf
Institut für Zeitgeschichte: Kommentierte Ausgabe von ‚Mein Kampf‘ (2016)
Wikipedia: Die Prinzipien der Kriegspropaganda
Wikipedia: Fussballsprache
Wikipedia: Politische Korrektheit
Wiktionary: Chauvinismus