Wenn wir die Bodenhaftung verlieren, wird es schwierig bis gefährlich – sofern wir nicht fliegen wollen.
Wann kann uns das passieren? Wenn die Schwerkraft schwindet. Wenn wir mit zu hoher Geschwindigkeit unterwegs sind. Wenn wir zu schnell in eine Kurve oder schwierige Untergründe fahren. Nein – hier geht es nicht um Autos oder ein Fahrersicherheitstraining. Es geht um uns, die wir in unserem Leben manchmal die Kontrolle über Tempo und Bodenhaftung verlieren. Es geht um dich als Menschen, der das grad erlebt oder vielleicht auf dem Weg ist, da rein zu schliddern.
Feind des Guten
Voltaires Ausspruch stimmt natürlich ganz oft. „Das Bessere ist der Feind des Guten.“ Passt ein neues Kleidungsstück besser, ist die Farbe der neuen Handtasche hipper, funktioniert ein neues Werkzeug besser, schmeckt eine Sorte besser, fährt ein Fahrzeug besser, macht ein anderer Partner glücklicher – alles Beispiele, für die dies stimmen kann. Das Bessere nimmt den Platz des jetzt nur noch Guten ein. Obwohl es bis vor kurzem noch das Bessere war. Walkman-DiscPlayer-MP3-Player-Spotify – und dann? Innovationen bringen uns regelmäßig bessere Lösungen für gleiche Bedarfe – in diesem Falle unterwegs Musik hören.
Voltaire meinte es auch anders
In der Erzählung Voltaires hat dieser Ausspruch jedoch eine Konkretisierung, „…nichts ist gefährlicher, als das Gute zu verlassen, um es noch besser zu haben.“. Dies ist eine andere Sicht auf dieses Thema – es geht nicht um das Bessere als das Bessere, oder nur als den Feind des Guten. Es geht um das, was dieser Impuls mit uns machen kann, den Verlust unserer Fähigkeit, Dinge überhaupt noch nachhaltig würdigen und wertschätzen zu können. Es geht hier nicht um Verzicht, sondern die gefährliche selbstbeschleunigende Spirale von einem zum anderen zu eilen und die Fähigkeit zu verlieren, sich überhaupt noch an etwas richtig zu erfreuen. Grad angeschafft und schon zusätzlich zur Kaufreue die Unruhe nach dem vermeintlich nächst Besseren Ausschau halten zu müssen.
So funktioniert Konsum
Geplante Obsoleszenz ist das Stichwort. In den 1920er Jahren in der US Autoindustrie erfunden und seitdem das dominante Prinzip unserer in weiten Teilen heutigen Wegwerfgesellschaft. Neben dem ökologischen Wahnsinn, über den ich an anderer Stelle schreibe, ist die menschliche Tücke, dass sich diese ursprüngliche Vermarktungsstrategie ‚Wie bringe ich einen Autobesitzer dazu, sich ein neues Auto zu kaufen, obwohl das alte noch gut ist?‘ in unser Verhalten und damit in unsere Haltung einschleicht – und wir sie auch auf andere Lebensbereiche ausweiten. Partner, Jobs, Wohnorte – alles mit dem unbewussten Selbstverständnis der geplanten Obsoleszenz, also dem erwarteten Zeitpunkt, wo es für uns obsolet (Wiktionary: lateinisch obsolētus → „unscheinbar, abgenutzt, abgetragen“) wird. Gegenbewegungen sind eingeleitet, z.B. stellt Frankreich 2015 das absichtliche Verkürzen der Lebensdauer von Produkten unter empfindliche Strafen. Ob dies jedoch mehrheitsfähig ist in der globalen Wirtschaft, bezweifle ich. Zudem ändern sich menschliche Verhaltensmuster und Prägungen nur sehr langsam.
Eine interessante zweiteilige Doku zum Thema Gier und unseren Umgang damit, gibt es hier von DW.
Wir pflanzen Kirschen in Nachbars Garten
Werbung, Nachrichten und unser soziales Umfeld triggert uns auf das neueste Modell, die nächste Generation, die neueste Erfindung, das jetzt noch Besser und jetzt noch Mehr. Wenn ich stolz ein neues iPhone zeige, ist die erste Gegenfrage „Welches Modell?“. Wenn ich mein neues Auto vorfahre, ist die erste Reaktion „Ach, das ist noch das alte Modell?“. (MINICHAT?) Wenn ich mit meinem neuen Partner zusammen ziehe, behalten wir uns sicherheitshalber jeweils unsere ursprünglichen Wohnungen. Ich habe in meiner Arbeit Menschen getroffen, die keine Waschmaschine mehr haben, weil sie jedes Kleidungsstück ohnehin nur ein mal tragen. Wir schaffen uns etwas neues an und abonnieren den Newsletter, um über Neuerungen direkt informiert zu werden. So pflanzen wir Kirschen in Nachbars Garten.
Es geht um Geschmack, nicht um Sein
Die Redewendung heißt ja eigentlich, dass die Kirschen immer süßer ‚schmecken‘ würden, wir kolportieren aber regelmäßig, das die Kirschen in Nachbars Garten süßer ’sind‘. Noch so eine innere Umprogrammierung. Der Unterschied lebt nur in unserer Vorstellung. Wenn wir an unsere Kirschen gewöhnt sind und die Dauerverfügbarkeit als gegeben kennen, schmecken sie uns tatsächlich anders, als würde unser Nachbar mal kosten. Wir kennen das Phänomen von Speisen und Getränken, die am Urlaubsort so wunderbar herrlich und viel besser als daheim schmecken, um dann daheim die mitgebrachten Dinge zu probieren und kaum mehr runter kriegen. Also, Kirschen in Nachbars Garten schmecken nur besser, wenn wir gar keinen Kirschbaum haben, unserer trotz Pflege keine süßen Früchte trägt oder der Baum eine Sauerkirsche ist. Dann haben wir einen Mangel.
Höher, weiter, mehr macht uns zu niedriger, zurück, weniger
Es geht um den Umgang mit unserer fast unüberwindbaren Sehnsucht und Rastlosigkeit auf der Jagd nach dem stets Besseren, Schnelleren, Höheren. Diese rastlosen Zustände sind auf Dauer für uns -und unser Umfeld- schädlich. Wir verlieren den Blick für das Risiko, Besseres nicht mehr erkennen zu können – und gleichzeitig das Gute unwiederbringlich zu verlieren. Solche aufwärtsstrebenden Spiralen drehen uns abwärts zu Unzufriedenheit und gar nicht so selten zu Burnout und Depressionen. In meiner Arbeit begegnen mir vermehrt beziehungsgestörte bis beziehungsunfähige, da wir das Entwicklen, das Festhalten und auch das gegenseitige Aushalten zugunsten dem vermeintlich einfacheren schnellen Wechsel verlernen. Glücklicher macht das nicht.
Beispiele der Raserei
Beispiele für dieses Phänomen umgeben uns. Smartphones, Autos, Klamotten, Uhren, Schmuck, Reisen, Schönheits-OPs, Häuser, Glücksspiel, Jobs, Extremsport, Affären, Partner – nichts bleibt, nichts bleibt gut genug. Euphorie-Frust-Euphorie-Frust als Abwärtsspirale mit längeren Frustanteilen. Uns geht die Bodenhaftung verloren, wir können uns kaum mehr an etwas intensiv oder länger erfreuen. Auch gestörte Sexualität kann ein Beispiel sein für die fatale innere Programmierung allein auf die Jagd nach dem eigenen Orgasmus oder den des Partners. Die Weg, die Berührungen und die Schönheit aller anderen Zutaten tritt in den Hintergrund, wenn wir nur noch nach dem Höhepunkt streben, der unbedingt von noch mehr oder höheren Höhepunkten getoppt werden muss. Auch hier treibt unser Konsumverhalten die Fehlentwicklung voran, wenn wir nicht gut auf uns aufpassen. Wenn Youporn und Co. Menschen in Sexualität anleiten, endet das eher in Frust als in Lust.
Der Spatz in der Hand
Hier geht es also nicht um den vielzitierten Spatz in der Hand oder die Taube auf dem Dach – sondern die Fähigkeit den Vogel in der Hand als den Vogel zu erkennen, der uns glücklich macht und die Taube auf dem Dach ohne Irritation anschauen zu können. Achtsamkeit, dem Verweilen und Wahrnehmen, dem Erkennen, was uns guttut – und wie wir aus Gutem das Beste für uns machen. Wenn unser Beruf also nicht Erfinder oder Innovator ist, steht es uns als Mensch gut, eine Balance zu finden, zwischen dem Guten und dem Streben nach etwas noch Besserem.
Das blaue WaGiLö
Das wunderbare Kinder-Buch ‚Das blaue WaGiLö’ von Ursula und Bettina Wölfel (1969) sowie viele frühere und spätere Geschichten dieser Art, erzählen immer wieder die gleiche Geschichte vom Irrweg auf der Suche nach sich selbst und dem eigenen Glück. In diesem Buch, das mich als Kind sehr beeindruckt hat, ist der Protagonist ein Warzenschweins, das sich selbst nicht leiden mag und auf seiner Reise stets das wünscht, was andere -Fisch, Giraffe, Löwe, …- haben, um am Ende wahres Glück zu verstehen. Diese Unruhe, die uns alle immer mal umtreibt, unzufrieden mit inneren und äußeren Dingen.
Wenn du deine ganz persönliche WaGiLö oder LöGiWa oder GiWaLö Geschichte besser verstehen und reflektieren willst, deine inneren Programmierungen auf den Prüfstand stellen willst, dir wichtiges in Partnerschaft oder Job erhalten willst, einfach glücklicher werden – schau‘ mal, ob bei meinen Angeboten was für dich dabei ist!
Wikipedia: Voltaire.
Wikipedia: Geplante Obsoleszenz
Filme zu dem Thema?
Chocolat (2000), Der Teufel trägt Prada (2006, Eat, Pray, Love. (2010). Downsizing (2017), Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen (Film, 2009).