Wir wollen doch jetzt nicht über Sprache diskutieren? Doch. Weil sprachliche Verwirrung und Verirrung nicht selten maßgeblich zur Erzeugung, Verschlimmerung und Ausdehnung von ohnehin schwierigen Situationen beiträgt. Und umgekehrt, unsere Sprache manchmal auch höhnisch und ignorant in den Ohren der Betroffenen klingen muss, falls diese jemals wieder ein Ohr dafür haben. Für die, denen es soweit gut geht und die eine ruhigere Minute haben, lohnt also der Blick auf die Sprache und Definitionen.
Der YouTube Channel des Lebensmittelverband Deutschland e.V. hat ein witziges 2 Minuten Video auf deren Seite zum Thema Krisenkommunikation. Schade nur, dass das so wenige gesehen haben und gut vorbereitet nutzen.
Krisen sind zeitlich begrenzt
Krisen sind definiert als zeitlich begrenzte extreme Zeiträume an Höhe- und Wendepunkten einer gefährlichen Entwicklung, die zum positiven gewendet und bewältigt werden. Bewältigung setzt eine Beurteilung, Meinungsbildung und Entscheidung voraus – und genau das steckt in dem altgriechischen Wort κρίσις krísis. (Quelle: Wikipedia ‚Krise‘). Was es also nicht gibt, ist eine Dauerkrise. Der Ausruf einer Krise ist also eigentlich ein hoffnungsmachendes Signal, denn es lässt erwarten, dass wir es hinkriegen. Es kann hart werden und schmerzlich, aber „wir schaffen das“. Dieser seit 2015 vieldiskutierte Satz von Angela Merkel ist in Krisenzeiten ein wichtiges Statement zu Haltung und Handlungsmaxime – und nur genauso war er auch gemeint, wie Angela Merkel in einer späteren Pressestatement erklärt: „Dieser Satz ist Teil meiner politischen Arbeit, er ist Ausdruck von Haltung und Ziel.“. (Quelle: Wikipedia ‚Wir schaffen das‘)
Krise trägt Verursachernamen
Das ist wohl ein ganz menschliches Phänomen. Alles braucht einen Namen, damit wir es über die Personifizierung begreifen und angreifen können. Wir geben der Krise bevorzugt den Namen des verursachenden Auslösers, denn das ist der zu besiegende ‚Feind‘. So können wir das Corona Virus bekämpfen, zurückdrängen oder sogar ganz ausmerzen, wie wir es mit den Pockenviren 1980 geschafft haben. Corona, alias COVID-19, ist ein Virus. Wo Viren eigentlich her kommen, ist bis heute nicht sicher geklärt – sicher ist wohl, dass sie länger da sind als wir Menschen. Böse Absicht können wir einem Virus nicht unterstellen. Im Sinne des Verursachers müssten wir wohl auch anerkennen, dass Menschen selbst die Entstehung und Verbreitung des COVID-19 Virus verantworten, wie auch anderer Viren zuvor. Details sind noch wissenschaftlich zu beweisen, jedoch scheinen die Wet Markets, das Konsum- und Hygieneverhalten bei der Entstehung eine wesentliche Rolle gespielt zu haben – und unsere mäßigen globalen Schutzmaßnahmen bei der Ausbreitung.
Krise trägt Gruppennamen
Klima-Krise. Auch hier hat ganz sicher nicht das Klima eine Krise, wenn wir mal davon ausgehen, dass das Klima keinen Selbstzweck und kein Selbstempfinden hat. Die gute Nachricht, gemäß obiger Krisendefinition ist, dass der Name impliziert, wir hätten das Thema begriffen und richtige Entscheidungen getroffen, um es zu einem besseren Ende zu führen. Na, mal sehen. Putzig wird es -mal ganz abgesehen von den vielen Opfern- bei der Banken-Krise 2007. Da hat es der Auslöser geschafft, sich selbst zum Opfer umzubenennen – und alle machen mit. Gleiches galt und gilt für die Weltwirtschaftskrise 1929.
Krise trägt Stellvertreternamen
Immer, wenn wir Krisen nach allem möglichen benennen, nur nicht nach den Verantwortlichen, folgen wir einer tief verwurzelten Verdrängungstaktik. ‚Hitler-Deutschland‘ ist so ein schlimmes Beispiel – in dem Falle für eine Katastrophe. Keine Frage, Adolf Hitler hat eine zentrale Rolle gespielt – jedoch ist die Katastrophe mit ‚Hitler-Deutschland‘ oder ‚Nazi-Deutschland‘ oder ähnlichem deutlich an den Verantwortlichen vorbei benannt. Ohne die politischen Opportunisten, die Wirtschaftsinteressen der frühen Förderer hinter der NSDAP, ohne die Wähler der NSDAP, ohne die taktierenden Politiker vieler anderer Parteien und vor allem ohne die Millionen aktiven Mittäter und Dulder hätte es weder die Krise noch die Katastrophe so gegeben. Heißt nicht, dass das immer alles sofort zu verhindern gewesen wäre, heißt aber sehr wohl, dass ‚Hitler-Deutschland‘ etc. den wichtigen Teil unserer Geschichte umgeht. Ein anderes Beispiel ist Donald Trump, der hartnäckig versucht die Schuld an der Corona Pandemie den Chinesen in die Schuhe zu schieben, in dem er den Virus ‚Chinese Virus‘ nennt.
Krise trägt Opfernamen
Das ist wohl die gemeinste Variante. Nicht die Verantwortlichen oder Verursacher der Krise, sondern die Opfer als Namensgeber herzunehmen – und das negativ belegt im Sinne eines Täters. ‚Flüchtlings-Krise‘ ist so ein Beispiel. Da wirkt Sprache als Brandbeschleuniger. Aus Berichten und eigenen Spontangesprächen nehme ich vermehrt wahr, dass tatsächlich die Flüchtlinge als das Problem angesehen werden und nicht die Verursacher der Umstände, die die Menschen in die Flucht geschlagen haben – oder jene, die aus Absicht oder Unfähigkeit aus dem Notstand eine Krise und bald eine Katastrophe machen. Natürlich gibt es auch jene, die tatsächlich die Flüchtlinge als das Problem ansehen – jedoch wird diese irrige Sicht erst gesellschaftsfähig, wenn die großen Medien diesen Begriff penetrieren und wir es in unsere Alltagsmeinung übernehmen.
Medien als Brandbeschleuniger
Am Beispiel des Unwortes ‚Flüchtlingskrise‘ wird die Rolle der einschaltquoten- und absatzzahlengetriebenen Medien besonders deutlich – zum Teil auch der öffentlich rechtlichen. Bei der genaueren Recherche ist mir -auch zu meiner eigenen Überraschung klar geworden: die meisten Politiker in Deutschland vermeiden den Begriff ‚Flüchtlingskrise‘ beeindruckend konsequent, und sprechen stattdessen von Flucht und Fluchtbewegungen als Problem und als Herausforderung -was es auch ist. Außer denen der AfD, was mich nicht überrascht hat. Die Medien allerdings titeln, untertiteln und kommentieren jedes Statement zu diesem Themenkreis mit ‚XYZ zur Flüchtlingskrise‘, obwohl dieser Begriff in den Statements so gar nicht vorkommt. Eine absolute Unart, achte mal drauf. Beispiel diese Tagesschau vom 30.10.2015. Obwohl hier in einem langen Beitrag über einige der tatsächlichen Ursachen z.B. im sogenannten Syrienkrieg berichtet wird, ist der Aufmacher bei Minute 05:29 in dieser Tagesschau ‚Flüchtlingskrise‘. Bis heute findet sich dieser Begriff fast immer, wenn ein Politiker zu Problemen im Umgang mit Fluchtursachen spricht.
Katastrophe ist (k)eine Katastrophe
Katastrophe bezeichnet laut Wikipedia den Wendepunkt in einer Entwicklung zu einem lang anhaltenden negativen Verlauf hin zu einem Tiefstpunkt, der einen Neuanfang erfordert. So erklärt sich auch die Rolle des Katastrophenschutzes, die nämlich helfen sollen, die Folgen einer Katastrophe abzumildern – oder im Idealfalle, aus einem Notstand oder einer sich verschärfenden Krise keine Katastrophe werden zu lassen. Prävention von Katastrophenfolgen ist die Aufgabe – Unterstützung bei einem Neuanfang, bis die normalen Prozesse wieder greifen. Krisen können in Katastrophen münden, und Krisen folgen auf Katastrophen. Beispiel: Regionale Krisen lassen sich nicht friedlich beilegen und werden zur Katastrophe Krieg, und in der Folge entstehen Hunger-Krise, Medizinische Krise, Wohnungs-Krise, Arbeitsmarkt-Krise etc., die wiederum Katastrophen werden können, wenn die Krise nicht bewältigt wird.
Aus einer Krise eine Katastrophe machen
So mancher präsidiale Mann wie Macron oder Trump hat in Corona Zeiten gleich am Tag 1 der Erkenntnis in kriegerischsten Worten den Kampf gegen Corona ausgerufen. Mehr Katastrophenstimmung geht nicht. Kommunikativ ist das ein grober Fehler. Einen international beachteten und hinhörenswerten anderen Akzent hat Angela Merkel in ihrer Rede zu diesem Thema gesetzt, sehr persönlich, sehr an der Menschenwürde jedes einzelnen entlang ausgerichtet und mit einem klaren friedlichen Appell an uns alle.
Dieser, aus meiner Sicht sinnvolle und gute Ansatz, erfasst natürlich nicht alles und alle – auch nicht auf der Regierungsbank. Und ein bisschen Aktivierung und starke Bilder helfen auch. Wie sonst ließen sich die Scholz’schen Gedankengebilde der „Bazooka“ zur Rettung und Stabilisierung der deutschen Wirtschaft erklären, mit denen er mit einem „Wumms“ aus der Krise herauskommen will. Wenn allerdings ein Olaf Scholz mit seinem freundlichen Schmunzeln von Bazookas und Wumms‘ spricht, kommen mir eher Kindersendungen in den Kopf statt Kriegsmetaphern. Dann geht’s.
Also Vorsicht mit der Wortwahl
Jede Wortwahl und jede Stimme hat eine Wirkung, und je mehr eine Stimme sich verbreitet, weil sie geteilt wird – oder uns gleich mit den Abendnachrichten medial breit serviert wird – desto größer ist der Effekt auf uns. Du selbst kannst dazu beitragen, Sprache für eine positive Entwicklung einzusetzen – und nicht als Brandauslöser oder Brandbeschleuniger. Panikreaktionen, Hamsterkäufe, Nachahmertaten fußen nicht selten auf sorglose, dämliche oder taktische Wortentgleisungen. Im Gegensatz zu o.g. Macron und Trump hat der Österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen mit seiner Corona-Ansprache gezeigt, dass Haltung und Wortwahl nicht ein Geschlechterthema ist, sondern ein Haltungs- und Handlungsthema.
Ehekrise ist ja dann doch ganz positiv
Was für die Weltpolitik und Großereignisse gilt, gilt umso mehr für uns daheim. ‚Schatz, ich glaub‘, wir haben eine Ehekrise!‘ birgt ja per Definition die Botschaft, das es der Wendepunkt zu einer Besserung ist und wir es in den Griff kriegen. Wohingegen der Ausspruch im Urlaubshotel, ‚Dieser Service ist eine Katastrophe!’ andeutet, dass es jetzt noch ganz schwierige Zeiten gibt, bis es mit einem Neuanfang -vermutlich Abreise- wieder besser wird.
Nutzen wir die Sprache
Sprache ist mächtig – dessen sollten wir uns bewusst sein. Vor allem, in Verantwortung für andere Menschen – oder wenn unsere Stimme gehört wird – sollten wir bedacht und behutsam mit unserer Wortwahl umgehen, damit andere nicht eine Krise kriegen. Die Mehrzahl unserer Themen sind zum Glück Kleinigkeiten, Probleme oder -mit motivatorischem Blick- Herausforderungen. Wenn wir das Gefühl haben, wirklich einer Krise oder Katastrophe zu begegnen, lohnt es sich, zuvor selbst oder mit Hilfe Dritter eine Einordnung vorzunehmen, da der Ausruf dieser Extremzustände besondere Maßnahmen erfordert und einleitet – und Betroffene panisch, oder bei Übergebrauch abgestumpft macht. Letzteres gilt vor allem für meine Beobachtungen in Unternehmen – allzuoft erlebe ich Menschen in Verantwortung, die derart unbedacht eine Krise nach der anderen ausrufen und alles sperrige im Unternehmen eine Katastrophe nennen. Das nervt, bewirkt ein verrohtes Miteinander und fördert Abstumpfung, sodass jedes echte und benötigte Krisen- und Katastrophengefühl unmöglicher gemacht wird. Wie x-facher Feueralarm, der nur eine Übung ist – bis der echte dann locker ignoriert wird.
Wenn du zu deiner Sprache, deiner Krisen- und Katastrophenfestigkeit, deiner Resilienz mehr erfahren und dazu mit mir arbeiten willst – sprich mich an!
Mehr Details?
Wikipedia: Krise.
Quarks Website, 27.03.2020: So bewältigen wir eine Krise.
Wikipedia, COVID-19.
Wikipedia: Wet Markets.
Wikipedia: Bankenkrise.
Wikipedia: Katastrophe.